Der Egobefriediger
Schritte zum temporären Erfolg
Es ist eine tragische und nur scheinbare Befriedigung, die sich im eigenen Spiegelbild ins beinahe Unendliche multipliziert. Blitzlichtgewitter und tosender Applaus können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sieger und Publikum in Martin Gensheimers Arbeit „Ego-Befriediger“ in eins fallen. Beklatscht und gefeiert steht man im Rampenlicht und hat doch nur, wie einst Narziss die Liebe, den Ruhm im eigenen Spiegelbild gefunden. Im unglücklichen Tod der Erkenntnis endet die Geschichte des Genannten, wo die des Betrachters beginnen mag. „Gläubiger Knabe, du haschest vergeblich nach flüchtigen Bildern!“ (Ovid, Metamorphosen)
Ebenso flüchtig wie das eigene Spiegelbild ist auch der Sieg selbst, besteht er doch einzig im Moment der zeichenhaften Anerkennung, der ritualisierten Ehrung und ihrer medialen Transformation. Und danach? Martin Gensheimer offeriert dem siegestaumelnden Betrachter ein Foto seines Erfolgs als bildhaftes Zeugnis und Erinnerungsmedium. In ebenso sinnhafter wie bezeichnender Weise verbinden sich hier zwei kategorial verschiedene Bildformen, die doch etwas eint: ihre Beweiskraft. Die Fotografie zeichnet sich durch das Festhalten eines Moments aus, sie weist nach, dass es eine bestimmte Situation an einem Punkt in der Geschichte gegeben hat, ist bildlicher Abdruck des Gewesenen – auch im Zeitalter digitaler (Nach)Bearbeitung hat sich dieser Glaube noch nicht verflüchtigt. Das Spiegelbild indes dient der Selbstvergewisserung, wirft das eigene Bild zurück ohne es festzuhalten. Gleichzeitig gaukelt uns der Spiegel ein Dahinter vor, täuscht mit der Möglichkeit, tiefer in ihn – und damit in uns selbst – vorzudringen. Man denke nur an die unbewusste Wunderwelt, in die Alice eindringt, oder den jüngst im Kabinett des Doktor Parnassus offenbarten Kosmos der geheimen Wünsche und Phantasien, dessen Eintrittspforte der Spiegel ist. Doch das Bild ist ein trügerisches – und hier verbindet es sich wieder mit dem der Kamera: Die elementare Frage Wer bin ich? in eine Kamera oder einen Spiegel hinein gestellt, wird zu keiner Antwort vordringen, kann sie doch nur in sich kreisen. Es ist die Anerkennung, die Spiegelung des Eigenen im Anderen, die Identität maßgebend stiftet. Und zur Anerkennung führen Erfolg und der Sieg im Messen mit anderen. Fehlt aber eben jene äußere Bestätigung, fragmentiert das Selbst, es zerbricht in Stücke, splittert auf. Oder aber, so hat es der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidtbauer einmal beschrieben, „es belebt seinen primitiven Ursprung: eine Phantasie von Größe und Vollkommenheit.“ In der zigfachen Aufsplitterung des eigenen Abbildes einerseits und der phantastischen Siegerposenerfahrung andererseits führt der „Ego-Befriediger“ beide Möglichkeiten vor und weist damit eindringlich in Narziss’ Richtung. Denn die Konstitution des Selbst, genau wie dessen Erkennen, ist eng verbunden mit der positiven Erfahrung von Anerkennung und Erfolg. Allerdings – und diese Entwicklung ist auch der Dominanz der digitalen Informationsmedien geschuldet – rückt zunehmend eine ziellose Bewunderung in den Mittelpunkt und Bekanntheit wird zum absoluten, von jedem Inhalt losgelösten Wert. In der umgekehrten Bewegungsrichtung bedeutet das auch, dass sich das Selbst von eigenen Wünschen befreit und gänzlich zum Erfüllungsgehilfen der auf es gerichteten Projektionen wird. Und so steht auch der Besucher von Martin Gensheimers Installation wie ein Sinnbild des Erfolgs inmitten der ihn akustisch und visuell umgebenden Zeichen und wird gleichsam selbst zur Trophäe im Spiegelschrank.
Valeska Schneider